Umwelt im Gespräch - Mikrobiom und Umwelt
Welchen Einfluss hat die Umwelt auf unser Mikrobiom und damit unsere Gesundheit? Diese Frage war Thema des vierten "Umwelt im Gesprächs" am 13. November 2018. Die Diskussionsreihe wird vom Forschungsverbund Umwelt der Universität Wien gemeinsam mit dem Naturhistorischen Museum Wien organisiert.
Uni-Blicke: „Je vielfältiger das Gekreuche in uns, desto gesünder“

„Wir sind nicht allein – jeder von uns bringt einen ganzen Mikrokosmos an Kleinstlebewesen mit: das Mikrobiom“, führte die Symbioseforscherin Jillian Petersen von der Universität Wien am Dienstag vergangener Woche beim vierten „Umwelt im Gespräch“, das der Forschungsverbund Umwelt der Universität Wien in Kooperation mit dem Naturhistorischen Museum organisierte. (© Walter Skokanitsch/Universität Wien)

Das Thema bewegt die Gesellschaft. Das zeigte sich auch bei dieser Veranstaltung: Rund 300 Interessierte folgten der Einladung in die Obere Kuppelhalle des Naturhistorischen Museums Wien, um der Podiumsdiskussion mit den geladenen WissenschafterInnen beizuwohnen. (© Walter Skokanitsch/Universität Wien)

Christian Köberl, Direktor des Naturhistorischen Museums Wien, begrüßte die Gäste und zeigte sich über das rege Interesse sehr erfreut. Bakterien, Viren und Co als Mikroorganismen von Lebewesen spielten im Haus bei den Ausstellungen sonst nicht oft eine so große Rolle. (© Walter Skokanitsch/Universität Wien)

Beim „Umwelt im Gespräch“ zum Thema Mikrobiom wirkte – neben dem Forschungsverbund Umwelt als Organisator – auch der Forschungsverbund „Chemistry meets Microbiology“ der Universität Wien mit. Heinz W. Engl, Rektor der Universität Wien, ging in seiner Eröffnungsrede auf die Bedeutung der Forschungsverbünde an der Universität Wien ein, um Disziplinen miteinander zu verbinden und Forschung quer durch die Fakultäten zu vernetzen. Hier bündle sich auch Expertise: Im Forschungsverbund Umwelt sind 150 UmweltwissenschafterInnen aus unterschiedlichen Disziplinen der Universität Wien vertreten. (© Walter Skokanitsch/Universität Wien)

Thilo Hofmann, Leiter des Forschungsverbundes Umwelt an der Universität Wien, betonte in seiner Begrüßung die wichtige Rolle der Umweltforschung für unsere Gesellschaft: „Bevölkerungswachstum, Nutzung von Ressourcen und Energie – wir stoßen in den nächsten Jahrzehnten an planetare Grenzen. Zugleich werden die Fragen, wie wir leben und mit unserem Planeten umgehen wollen, immer komplexer. Die Umweltforschung versucht hier, Antworten zu finden.“ Sie liefere damit letztlich auch einen Beitrag für unsere Daseinsfürsorge. „Wir wollen uns einmischen: Wir wollen anregen, Diskussionen anstoßen, zeigen, was die Wissenschaft leisten kann, und auf Augenhöhe über die Ergebnisse mit der Gesellschaft – mit Ihnen – diskutieren“, so der Umweltgeowissenschafter zur Rolle des Forschungsverbundes Umwelt. (© Walter Skokanitsch/Universität Wien)

Jillian Petersen vom Forschungsverbund „Chemistry meets Microbiology“ verwies in ihrem Einführungsvortrag auf die große Bedeutung des Mikrobioms: „Jeder Mensch trägt mehr Mikroben als körpereigene Zellen in sich.“ Rund 100 000 000 000 000 Organismen bevölkern den Menschen; darunter mehrere hundert Arten. Die Mikroorganismen seien lebensnotwendig und steuerten wichtige Prozesse im menschlichen Körper – von der Verdauung über die Abwehr gegen Krankheitserreger und dem Vitaminhaushalt bis hin zum Gehirn und damit dem Verhalten: „Stimmung, Aktivität, sogar die Partnerwahl wird durch unsere Mikroorganismen beeinflusst“, sagte die Assistenzprofessorin und ERC-Preisträgerin der Universität Wien. (© Walter Skokanitsch/Universität Wien)

Seit rund zehn Jahren ist es durch neue Methoden möglich, die Mikrobenvielfalt genauer zu untersuchen – seitdem boomt das Forschungsfeld. Neue Studien zeigen immer mehr Zusammenhänge auf. So wurde beispielsweise durch Fäkaltransplantation an Mäusen untersucht, dass der Mikrobenhaushalt beeinflusst, ob eine Maus sich aktiv oder scheu verhält. (© Marc Mussmann, Universität Wien)

Gleichzeitig konnte auch gezeigt werden, dass das Mikrobiom durch Einflüsse wie Medikamentengabe stark beeinflusst wird: 25 Prozent aller Medikamente hemmen demnach das Wachstum der Darmflora. Bei Antipsychotika stören gar 75 Prozent die Darmflora, was auch die Frage aufwirft, ob diese Medikamente direkt in uns wirken oder über ihre Wirkung auf unser Mikrobiom. (© Walter Skokanitsch/Universität Wien)

Studien hätten zudem gezeigt, dass in der westlichen Welt ein großes Artensterben unter den Mikroben eintritt: Angehörige indigener Jäger-Sammler-Gesellschaften beherbergen fast doppelt so viele Bakterienarten wie wir in der urbanen westlichen Welt. Dies sei bedenklich, denn „je vielfältiger das Gekreuche, desto gesünder sind wir“, erklärte Petersen. „Dieses Aussterben unserer Darmmikroorganismen hat wahrscheinlich zur Folge, dass wir immer häufiger an chronischen Krankheiten wie Allergien, Autoimmunerkrankungen und Fettleibigkeit leiden. Und dieses Aussterben geht erstaunlich schnell.“ (© Walter Skokanitsch/Universität Wien)

Der Mikrobiomforscher David Berry ging in seinem anschließenden Statement darauf ein, wie das menschliche Mikrobiom entsteht: „Vom Moment unserer Geburt an beginnen wir, Mikroben zu sammeln“, so der Professor an der Universität Wien – schon während der Geburt würden wir „kolonisiert“. (© Walter Skokanitsch/Universität Wien)

Der Mikrobiomforscher verwies auch auf die Studien, wonach Kinder, die auf dem Land aufgewachsen sind, weniger häufig Allergien entwickeln als Stadtkinder. (© Walter Skokanitsch/Universität Wien)

Der Lebensmittelbiologe Martin Wagner von der Veterinärmedizinischen Universität Wien verwies auf die große Herausforderung, dass – je nach Szenario – in rund 30 Jahren rund 9,8 Milliarden Menschen zu versorgen seien. Und auch hier seien die Menschen nicht allein: Wir leben mit einer Milliarde Schweinen, einer Milliarde Rindern und 23 Milliarden Stück Federvieh, so Wagner. Mikrobiomforschung helfe da mehrfach: „Entlang der Lebensmittelkette gibt es massiv viele Möglichkeiten für Mikrobiomanalysen – und viele Herausforderungen“, so der Leiter des Instituts für Milchhygiene. (© Walter Skokanitsch/Universität Wien)

Geforscht werde beispielsweise an den Zusammenhängen des Mikrobioms mit der Produktivität – beispielsweise der Milchleistung von Kühen – und dem möglichst effizienten Einsatz von Futtermitteln. Auch der Methanausstoß von Rindern, der zum Klimawandel beiträgt, hänge direkt mit dem Mikrobiom zusammen, so der Professor an der Veterinärmedizinischen Universität Wien; ebenso spiele das Mikrobiom bei der Fermentation eine zentrale Rolle. (© Walter Skokanitsch/Universität Wien)

Die künstlerische Forscherin Lucie Strecker erklärte in ihrem Beitrag ihre Zugänge zum Thema der Mikrobiomforschung – beispielsweise zur Frage, wo der Mensch zwischen Technologie und Natur heute steht. Anhand von Kunstprojekten und Performances erklärte sie die Thematisierung von Grenzen, aber auch Zusammenhängen, beispielsweise mit dem Finanzsektor und der Pharmaindustrie. (© Walter Skokanitsch/Universität Wien)

„Als Künstlerin fasziniert mich, wie sich Materialität durch Technologie verändert“, so die Forscherin am Art & Science Department der Universität für angewandt Kunst Wien. (© Walter Skokanitsch/Universität Wien)

Ö1-Wissenschaftsredakteurin Marlene Nowotny (rechts) moderierte die anschließende Diskussion. (© Walter Skokanitsch/Universität Wien)

Das Publikum brachte sich während der Vorträge – hier bei einer Abstimmung – und auch mit Fragen sehr aktiv ein. (© Walter Skokanitsch/Universität Wien)

Es gab zahlreiche Fragen zu den Zusammenhängen von Mikrobiom und Umwelt – von der Auswirkung der Ernährung auf gesundheitliche Störungen über die schädigende Wirkung von Antibiotika bis hin zu den Möglichkeiten, mikrobiotische Medikamente zu erzeugen oder den Klimawandel über das Mikrobiom zu beeinflussen. (© Walter Skokanitsch/Universität Wien)

Abschließend gab es die Möglichkeit für weitere informelle Diskussionen …
(© Walter Skokanitsch/Universität Wien)

… und Gespräche mit den anwesenden WissenschafterInnen (im Bild Jean-Robert Tyran, Vizerektor für Forschung der Universität Wien). (© Walter Skokanitsch/Universität Wien)
Video: Umwelt im Gespräch 13.11.2018
Mikrobiom und Umwelt: Wie der Mensch von "seinen" Bakterien abhängt, NHM Wien